Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Der prozessrechtliche Alltag ist von Fristen bestimmt. Diese sind auch notwendig, um die Möglichkeiten der Parteien und deren Rechtsvertretern zeitlich zu begrenzen und so den Fortgang des Prozesses zu sichern. Wer jedoch eine Frist versäumt, wird vom Gesetz mit dem Verlust von Verfahrensrechten oder gar dem Prozessverlust bestraft. Einen Ausweg kann unter Umständen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bieten.

Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet sich nicht nur im Zivilrecht (§ 146 ZPO), sondern auch im Verwaltungs- (§ 71 AVG, § 208 BAO, § 46 VwGG, § 33 VwGvG) und im strafgerichtlichen Verfahren (§ 364 StPO), wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass die Regelungen der ZPO nahezu wortident übernommen wurden, weswegen den Entscheidungen des OGH zu § 146 ff ZPO die größte Bedeutung zuzumessen ist. Allerdings lassen sich durchaus feine Unterschiede je nach Rechtsgebiet (zB Mietrecht, Arbeitsrecht, Unternehmensrecht etc) und Höchstgericht (VwGH, OGH etc) ausmachen, die nicht verallgemeinerungsfähig sind und hier den Rahmen sprengen würden.

Gemäß § 146 ZPO kann eine Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung gehindert wurde, die Prozesshandlung nachholen, wenn sie diese nur aus einem minderen Grad des Versehens versäumte.

Durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand soll die Partei so gestellt werden, als hätte sie die Frist nicht versäumt. Voraussetzung ist zunächst, dass die versäumte Prozesshandlung gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung nachgeholt wird (VwGH Ra 2016/19/0370). Dabei ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen ab (möglichem) Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 148 Abs 2 ZPO). Handelt es sich nämlich beispielsweise um einen Irrtum, beginnt die Frist bereits mit der möglichen Aufklärung des Irrtums zu laufen, wenn die Aufklärung aufgrund einer auffallenden Sorglosigkeit unterblieben ist (OGH 3 Ob 60/13i)

Im Antrag selbst ist das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis und auch der Beginn und das Ende desselben zum Nachweis der Rechtzeitigkeit hinreichend zu konkretisieren (VwGH Ra 2016/12/0026), dies auch weil aufgrund der im Wiedereinsetzungsverfahren geltenden Eventualmaxime neue, nach Fristablauf vorgebrachte Gründe nicht mehr berücksichtigt werden können (vgl OGH 1 Ob 157/14s). Die Wiedereinsetzungsgründe und auch das mangelnde oder zumindest nur mindere Verschulden sind im Antrag glaubhaft zu machen (§ 149 Abs 1 ZPO), das heißt als hinreichend wahrscheinlich darzustellen (LVwG NÖ LVwG-AV-966/002-2016). Da die Beweismittel parat sein müssen, sind unter anderem Anfragen an Behörden (vgl Rechberger in Rechberger4 § 274 ZPO Rz 4) nicht möglich. Beliebt und zulässig sind aber beispielsweise eidesstattliche Erklärungen von Kanzleiangestellten.

Da die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Ablauf einer Frist voraussetzt, kann sie zudem nicht angestrengt werden, wenn die Frist überhaupt nicht zu laufen begonnen hat. Wenn also die Zustellung, beispielsweise aufgrund einer Ablage im falschen Brieffach, nicht rechtswirksam erfolgte, ist auch eine Wiedereinsetzung nicht denkbar (vgl BFg RV /75000839/2017). In diesem Fall ist erst eine rechtswirksame Zustellung zu erwirken.

Wie bereits ausgeführt, ist es für die Bewilligung eines Wiedereinsetzungsantrages erforderlich, dass ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis vorliegt. Unabwendbar ist ein Ereignis, wenn ein Durchschnittsmensch den Eintritt desselben nicht verhindern hätte können, von einem unvorhergesehenen Ereignis spricht man, wenn tatsächlich nicht mit dem Eintritt gerechnet wurde und dieser auch nicht erwartet werden konnte. Hierbei ist natürlich auf die persönlichen Verhältnisse der Partei abzustellen (vgl Liebhart, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ÖJZ 2018/120).

Zentraler Punkt der meisten Wiedereinsetzungsanträge ist das Verschulden. Wie bereits ausgeführt, darf nur ein minderer Grad des Versehens vorliegen, was mit der geläufigeren Wendung „leichte Fahrlässigkeit“ gleichzusetzen ist. Leichte Fahrlässigkeit beschreibt nach der Rechtsprechung ein Verhalten, das auf einem Fehler beruht, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen kann. Grobe Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn ein solcher Fehler einem ordentlichen Menschen in dieser Situation keinesfalls unterlaufen wäre. In der Praxis wird jedoch mitunter ein strengerer Maßstab angelegt, vor allem wenn es sich um berufliche Parteienvertreter oder Unternehmer handelt.

Die Frage, ob im Einzelfall grobe oder leichte Fahrlässigkeit vorliegt, kann nur unter Bedachtnahme auf die Person des Antragstellers beantwortet werden. An einen Rechtsanwalt ist ein anderer Sorgfaltsmaßstab anzulegen als an einen juristischen Laien, was von einem Unternehmer erwartet werden kann, muss nicht auch von einer Privatperson erwartet werden. Insofern muss auch bei der Verschuldensprüfung entsprechend unterschieden werden.

Für einen Rechtsanwalt gilt bei der Verschuldensprüfung der Maßstab eines gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwaltes. Von einem solchen verlangt die Rechtsprechung unter anderem, dass dieser eine möglichst effiziente Organisation mit Kontrollmechanismen einrichtet, um zu verhindern, dass es zu Fristversäumnissen kommt (vgl VwGH 2013/03/0094). Vor allem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist detailreiches Vorbringen zu den Kontrolleinrichtungen und dem Ablauf der Kontrolle zu erstatten. Wird darauf verzichtet, wird die Wiedereinsetzung in der Regel nicht bewilligt. Außerdem muss sich der Rechtsanwalt trotz Schilderungen des Mandanten selbst vom Zustelldatum (VfGH 1600/2016) und von der richtigen Adressierung eines Rechtsmittels (VwGH 2014/08/0001) überzeugen.

Die hohen Anforderungen, die an einen Rechtsanwalt gestellt werden, zeigen sich auch einer Entscheidung des VwGH vom 18.09.2013, in der dieser aufgrund des für Rechtsanwälte geltenden Maßstabes selbst eine „schwere Erkrankung“ und die altersbedingte Vergesslichkeit eines Rechtsanwaltes im 84. Lebensjahr nicht als minderen Grad des Versehens wertete (VwGH 2013/03/0094). Es verwundert daher nicht, wenn auch Rechtsirrtümer nur im Ausnahmefall, so zum Beispiel bei gänzlich neuen Problemen und zumindest vertretbarer Rechtsansicht als leichte Fahrlässigkeit gewertet werden.

Ein von Rechtsanwälten bei Wiedereinsetzungsanträgen beliebtes Argument ist ein einmaliger Fehler einer Kanzleiangestellten trotz ausreichender rechtsanwaltlicher Kontrolle. Dabei nimmt die Judikatur aber auf Arbeiten Bezug, die zum Aufgabenbereich des jeweiligen Angestellten gehören. Beauftragt daher ein Unternehmer, der üblicherweise nichts mit rechtlichen Belangen zu tun hat, einen seiner Mitarbeiter damit, sich um einen Zahlungsbefehl zu kümmern, bedarf es der Kontrolle durch den Unternehmer (LGZ Wien MietSlg 67.611). Dennoch werden an die Büroorganisation eines Unternehmers nicht dieselben Anforderungen gestellt wie an die eines Rechtsanwaltes. Das Verlegen einer Strafverfügung im Zuge einer Übersiedelung rechtfertigt daher beispielsweise die Wiedereinsetzung (BFG RV/7500095/2017).

Wenngleich der Sorgfaltsmaßstab bei juristischen Laien gering anzusetzen ist, bedeutet dies nicht, dass diesen sämtliche Unachtsamkeiten als leichte Fahrlässigkeit angerechnet werden würden. Ganz im Gegenteil ist beispielsweise eine unterlassene Meldung der Wohnsitzänderung bei laufendem Verfahren (VfGH 2753/2016) eine auffallende Sorglosigkeit, weil bereits aus dem Alltagswissen bekannt sein müsste, dass ohne Bekanntgabe des neuen Wohnsitzes keine Zustellung erfolgen kann. Des Weiteren ist es auch einem juristischen Laien zuzumuten, sich rechtzeitig um Unterstützung zu kümmern. Mangelnde Deutschkenntnisse (LGZ Wien MietSlg 68.563), Sprachschwierigkeiten und mangelnde Kontaktaufnahme mit einem Rechtsanwalt (VfGH 21/2015) sind aus diesem Grund keine Wiedereinsetzungsgründe. Selbst krankheitsbedingte Säumnis erfüllt die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung nur, wenn diese zu einer Dispositionsunfähigkeit führt, oder die Dispositionsfähigkeit zumindest soweit beeinträchtigt hat, dass das Unterbleiben der fristwahrenden Handlung als minderes Versehen angesehen werden kann (VwGH Ra 2014/05/0005). Bettlägerigkeit und Schonungsbedarf an sich reichen nicht aus (VwGH Ro 2014/06/0009).

Fazit: Neben einigen formalen Hürden ist zentraler Punkt eines Wiedereinsetzungsantrages zumeist das Verschulden, bei dem auf die Person des Antragstellers und dessen Umstände Bedacht zu nehmen ist. Während Rechtsanwälten zu raten ist, vor allem im Verwaltungsverfahren Vorbringen zur effizienten Büroorganisation zu erstatten, sollten auch Unternehmer der sachgemäßen Erledigung von Aufgaben nachgehen. Juristische Laien sollten sich im Falle der Unkenntnis zeitnah an kompetente Stellen für Hilfe und Information wenden.

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